Lilith
Einleitung
Die Figur der Lilith findet man nicht nur innerhalb der jüdischen Heiligen Schriften, sondern sie erfährt in den letzten Jahrzehnten auch vermehrt Aufmerksamkeit – im jüdischen als auch im säkularen Raum. Sowohl als Dämonin als auch als Feministin wird sie zu einer beliebten Figur in diversen Medien – von Romanen bis hin zu Netflix-Serien. Dieser Eintrag gibt einen Überblick über Liliths Geschichte: Sie erscheint in talmudischen und kabbalistischen Texten als Dämonin oder erste Frau Adams, die besonders für Mütter und Säuglinge eine Bedrohung darstellt. Doch im Laufe der Geschichte wandelte sich ihr Bild: Heute gilt sie in bestimmten Auseinandersetzungen als feministisches Symbol und ist sichtbar in diversen Medien.
Liliths Ursprung
Die Gestalt der Lilith hat ihre Wurzeln in der altorientalischen Mythologie. Besonders ähnlich sind ihr die mesopotamischen Dämoninnen Lamastu und Lilitu, die als Bedrohung für Neugeborene und Schwangere galten. Lamastu wurde als Tochter des Stadtgottes Anu betrachtet und mit Unheil assoziiert. Ihr wurde nachgesagt, dass sie Neugeborene töte und Männer impotent macht. Lilitu, oft als Beherrscherin der Winde bezeichnet, war in sumerischen Beschwörungstexten als eine bösartige Sturmdämonin bekannt, die nicht nur Säuglinge tötete, sondern auch Männer verführte und schwächte.
In der Hebräischen Bibel erscheint Lilith einmal, in Jesaja 34,14, wo sie als Wüstengespenst bezeichnet wird. Der Vers ist Teil einer prophetischen Rede über die Zerstörung Edoms, in der Lilith als Bewohnerin der verwüsteten Ruinen erscheint. Vermutlich wurde sie aufgrund mesopotamischer Einflüsse in diesen Kontext integriert.
Lilith in der Kabbala
Im Babylonischen Talmud wird Lilith als mächtiger weiblicher Dämon beschrieben. Traktat Schabbat 151b warnt davor, alleine zu schlafen, da man sonst von Lilith heimgesucht werden könne. Traktat Niddah 24b beschreibt sie als geflügeltes Wesen mit menschlichem Gesicht. Eine zentrale Quelle für ihre Geschichte ist das "Alphabet des Ben Sira" (8.-10. Jh.), in dem sie als erste Frau Adams dargestellt wird. Adam forderte Lilith auf, unter ihm zu liegen und wollte somit seine höhere Stellung ihr gegenüber demonstrieren. Lilith weigerte sich, dies zu tun, widersetzte sich somit seiner Herrschaft und floh. Daraufhin wurde sie von Gott bestraft und zur Kindesmörderin gemacht.
Der spanische Kabbalist Isaac ha-Kohen (13. Jh.) berichtet eine andere Geschichte: Er identifiziert den Erzengel Samael (der oft mit Satan gleichgesetzt wird) als Liliths ursprünglichen Partner und stellte so eine Parallele zwischen Adam und Eva sowie Samael und Lilith her. Dieser Parallelismus soll die zweigeschlechtliche Natur der (göttlichen) Welt darstellen. Wobei Lilith hier die Weiblichkeit in der bösen Welt darstellt:
das Gegenstück zur Shekinah (der Manifestation Gottes), der weiblichen Seite der göttlichen Gegenwart, die oft mit Eva assoziiert wird.
Lilith gilt in diesem Kontext als Herrscherin der Unterwelt und wird mit der Verführung von Männern, Kindestod und Unheil assoziiert. Diese Eigenschaften werden im kabbalistischen Werk „Zohar“ detailliert beschrieben.
Lilith als feministisches Symbol
Seit den 1970er Jahren wird Lilith in der jüdisch-feministischen Theologie als Symbol weiblicher Selbstbestimmung interpretiert. Ihre Weigerung, sich Adam unterzuordnen, wird als Ausdruck von Gleichberechtigung gedeutet und als Widersetzung der ersten versuchten Vergewaltigung. Liliths vermeintlich boshaftes Verhalten sei Ausdruck des Patriarchats (dem sozialen System, in welchem Männer die Machtstellung besitzen), das männliche Angst vor unabhängigen Frauen widerspiegele. Das US-amerikanische "Lilith Magazine" (seit 1976) betrachtet sie als Symbol eines frauenpositiven Judentums.
In feministischer Literatur wird Lilith häufig als unabhängige Frau dargestellt, die sich gegen patriarchale Strukturen wehrt. Ein Zeugnis und einen Wegweiser dieser neuen Auslegung Liliths gibt die jüdisch-feministische Theologin Judith Plaskow mit ihrem Werk „The Coming of Lilith“ (1972), in welchem Lilith eine Verbündete Evas wird, die sich gegen die patriarchalen Normen, von Adam und Gott propagiert, stellt.
Medien
In säkularen Medien erfährt die Figur der Lilith zunehmend Relevanz, wie aktuelle Beispiele aus dem Streamingdienst Netflix zeigen. In Serien wie Lucifer (2016–2021) und Chilling Adventures of Sabrina (2018–2020) wird Lilith als komplexe, ambivalente Gestalt inszeniert, die sowohl auf ihre kabbalistische Herkunft als Dämonin verweist als auch feministische Eigenschaften aufgreift. Ihre Darstellung oszilliert dabei zwischen Verführung, Macht, Rebellion und Verletzlichkeit. So wird sie etwa in Lucifer als erste Frau Adams mit einer selbstbestimmten Sexualität und dem Wunsch nach Unabhängigkeit präsentiert, während sie in Sabrina als dämonische Mentorin erscheint, die sich zunehmend gegen patriarchale Strukturen – in Gestalt Satans – auflehnt. Diese modernen Inszenierungen zeigen, dass Lilith nicht nur in religiösen oder feministischen Diskursen fortlebt, sondern auch in populärkulturellen Formaten als Projektionsfläche für gesellschaftliche Fragen rund um Geschlecht, Macht und Autonomie dient.
Fazit
Liliths Bedeutung hat sich im Laufe der Jahrhunderte stark gewandelt. Während sie in der Kabbala als Dämonin gefürchtet wurde, wird sie heute in feministischen und esoterischen Kreisen als Symbol für Emanzipation und weibliche Stärke gefeiert. Ihr Wandel spiegelt gesellschaftliche Veränderungen in der Wahrnehmung von Geschlechterrollen wider.
Literatur
D. Börner-Klein, Das Alphabet des Ben Sira, 2007;
J. Dan, Joseph, Samael, Lilith and the Concept of Evil in the Early Kabbalah, Cambridge 1980;
K. Davidowicz, Die Kabbala. Eine Einführung in die Welt der jüdischen Mystik und Magie, Wien 2009;
K. Davidowicz, Engel und Dämonen, in: Domagoj, Davidowicz (hsg.)Kabbalah, 2018, S. 158-177;
Lilith Magazine, New York. https://www.lilith.org/about/mission/, 2021;
K. Trattner, Von Lamastu zu Lilith. Personifikationen des weiblichen Bösen in der mesopotamischen und jüdischen Mythologie, in: Disputatio Philosophica Vol. 15/, 2013, S. 109-118.
Julia Verbeek, Mai 2025